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„teilchenzoo“ im Feuilleton und im Podcast

Alice Kurle (Universität Stuttgart) /  zur Hausarbeit „Literaturkritik neu gedacht. Ein Vergleich von Podcast und Feuilleton am Beispiel von Carolin Callies‘ ‚teilchenzoo'“

Die These meiner Untersuchung: Literaturkritiken in verschiedenen Medien unterscheiden sich nicht nur durch ihre Medien, die dadurch gesetzte Art ihrer Rezeption und die damit vermittelte Atmosphäre, sondern verwenden andere Wertungsschwerpunkte. Für den beispielhaften Vergleich habe ich zwei Kritiken herausgesucht, deren Autoren jeweils frei tätig sind: „Gerechtigkeit für die kleinsten Dinge: ‚teilchenzoo‘ von Carolin Callies“ von Alexandru Bulucz → veröffentlicht am 4.6.2023 in der Onlineversion der Berliner Zeitung und ein Ausschnitt des Podcasts „blauschwarzberlin“ in seiner 67. Folge vom 23.10.2024. Dem Vergleich habe ich das 1996 von Renate von Heydebrand und Simone von Winko veröffentlichten Modell zu axiologischen Wertmaßstäben zugrundegelegt. X

Entgegen den Vorhersagen dieses Modells überwiegen in den vorliegenden Rezensionen die expliziten Wertungen. Im Podcast finden sich zehn explizite und sechs implizite Wertungen, bei Bulucz sind es neun explizite und vier implizite. Der Unterschied zeigt sich vor allem in den negativen Wertungen: Diese werden im Feuilleton explizit, beim Podcast jedoch ausschließlich implizit formuliert.

Im Feuilleton fehlen praktische, affektive und hedonistische Wertungen gänzlich, im Podcast inhaltliche und kognitive Wertungen. Die Kritik von Bulucz enthält zwei formale, vier inhaltliche, sechs relationale und drei wirkungsbezogene Wertungen, jene von „blauschwarzberlin“ sieben formale, zwei relationale und sieben wirkungsbezogene – die erhöhte Zahl im Vergleich zu den expliziten und impliziten Wertungen ergibt sich aus der Mehrfachbestimmung einzelner Äußerungen. Es lässt sich also schlussfolgern, dass im Feuilletondie allgemeinen Wertungen mehr herausgestellt werden und die persönliche Meinung weniger pointiert wird, während es sich im Podcast gegenteilig verhält.

Der Hauptunterschied zwischen den verschiedenen Formen der Literaturkritik findet sich einerseits in den verwendeten Wertungsmaßstäben und andererseits in der erzielten Atmosphäre wieder – während im Feuilleton die Kritik durch die verwendeten Formulierungen sowie die Schwerpunkte der Wertungen eine gewisse Schwere und Traditionsnähe mit sich bringt, bleibt die Rezension im Podcast schon durch das Format unterhaltsam, was sich auch in der vermehrten persönlichen statt relationalen oder formalen Wertung zeigt und ebenso in der informellen statt wie im Feuilleton formellen,Sprache begründet liegt.

Renate von Heydebrand und Simone Winko: Einführung in die Wertung von Literatur. Systematik – Geschichte – Legitimation. Paderborn 1996.

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