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„Vernichten“ (Michel Houellebecq) im Feuilleton und im Podcast

Christian Lantzinger / über die Hausarbeit „Ausweitung der Kampfzone. Michel Houellebecqs ‚Vernichten‘ in der Literaturkritik zwischen Feuilleton und politischer Podcast-Szene“

Am Beispiel klassische Feuilleton-Formate in  TV, Radio und Zeitungen (→ Die Zeit SWR Kultur und → Literaturclub / SRF) und politischer Podcasts (→ Von rechts gelesen und → Wohlstand für Alle) habe ich untersucht, wie Houellebeqs 2022 erschienener Roman besprochen und bewertet wird. Dabei standen die Funktionen von Literaturkritik im Mittelpunkt, wie sie Thomas Anz beschrieben hat: Informieren,  Orientieren, Auswählen, didaktisches Vermitteln, Unterhalten (für das Publikum), didaktisches Sanktionieren (für die Literaturproduzierenden), kommunikationsstimulierendes Reflektieren (für das System ‚Literatur‘). X

Das TV-Format „Literaturclub“ verhandelt Houellebecqs Werk in einer Gesprächsrunde. Diese Mehrstimmigkeit ermöglicht ein breites Meinungsspektrum, führt jedoch zu eher oberflächlicher Analyse. Die politischen Dimensionen des Romans bleiben weitgehend unbeachtet. Der Radiobeitrag von SWR Kultur ist zurückhaltender in der Wertung und betont Inhalt und Sprachklang. Interpretative Anmerkungen regen zur eigenen Urteilsbildung an. Die gesellschaftspolitische Dimension wird, ähnlich wie im Fernsehen, weitgehend ausgeblendet. Die Rolle des Kritikers erscheint hier eher als die eines „Freundes des Autors“ (Anz). Adam Soboczynski reflektiert in „Die Zeit“ sowohl Houellebecqs Person als auch die Rolle der Literaturkritik. Die Schriftform erlaubt analytische Schärfe und pointierte Formulierungen. Wie im Radio zeigt sich auch hier der subjektive Charakter der Kritik. Allen Formaten gemeinsam ist das Verwenden traditioneller literaturanalytischer Verfahren, wie zum Beispiel das Herausarbeiten von Motiven, Topoi
und intertextuellen Verweisen,.

„Wohlstand für Alle“ ist ein linker Wirtschaftspodcast, der regelmäßig literarische Themen behandelt. Stilistisch lehnt er sich ans Feuilleton an, verknüpft Literaturkritik jedoch mit einer umfassenden Kapitalismuskritik. Der Roman dient als Ausgangspunkt für Reflexionen über Politik und Gesellschaft, wird aber nicht systematisch analysiert. „Von rechts gelesen“ verfolgt als rechter Kulturpodcast eine metapolitische Strategie. Literaturkritik dient hier primär der ideologischen Vermittlung und wird gezielt zur politischen Positionierung genutzt. Trotz stilistischer und politischer Unterschiede ergibt sich in der Bewertung des Romans eine inhaltliche Nähe. Die literarische Deutung bleibt weitgehend konstant; Differenzen zeigen sich vor allem in der jeweiligen politischen Rahmung oder deren bewusster Auslassung sowie in der offensiv niedrigschwelligen oder anspruchsvollen Interaktion mit dem  Publikum..

Thomas Anz: Theorien und Analysen zur Literaturkritik und zur Wertung. In: Thomas Anz und Rainer Baasner (Hg.): Literaturkritik: Geschichte, Theorie, Praxis. München 2004, S. 194–219.

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