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Karambolage

Im Billard ist Karambolage gleichbedeutend mit ‚Querschläger‘, dem Gegenteil von ‚doppelt gemoppelt‘. Im Alltag bezeichnet es auch eine Serie von Erschütterungen, zum Beispiel Zusammenstöße von Personen oder Dingen.

In einer Ausstellung ist die Karambolage eine von mehreren Möglichkeiten, Objekte zu kombinieren. X

Wir haben die Objekte (so weit das in einer Ausstellung mit Originalen aus dem Archiv möglich ist) als flexible Elemente auf einfachen Tischen präsentiert – lose verbunden mit den sie erläuternden Kommentaren und anderen Arten von Objekten (unter anderem Texte, Bücher, Postkarten, Ton- und Filmdokumente). X

Sprünge und Lücken waren dabei absichtlich: Für Hegel kommen alle Inhalte, über die wir nachdenken, nicht aus der sinnlichen Wahrnehmung, sondern sie werden gedacht, ohne dass wir uns dabei konkrete Dinge vorstellen. Wenn wir mit Hilfe von Objekten denken, so nähern wir uns dem Denken nur an. 

 

Offensiv hat 2016 eine von Jean-Hubert Martin kuratierte Ausstellung im Gran Palais in Paris den Titel „Carambolages“ getragen. Andere Möglichkeiten des Objekt-Kombinierens wären zum Beispiel Kontext, Korrespondenz, Konstellation und Konfiguration.

Diese lose Kombination von Objekten aller Art war im Fall von „Hegel und seine Freunde“ auch eine Reaktion auf die Marbacher Bestände. Hegels Nachlass liegt in der Staatsbibliothek zu Berlin, in Marbach gibt es nur wenig Originaldokumente: zum Katalog

Bei den Ausstellungen zu Narrating Africa und Hölderlin war die Ausgangslage ähnlich, das heißt: das gleichsam ‚organische‘ (zum Beispiel biografische oder textgenetische) Denken und Realisieren der Ausstellung aus dem Nachlass heraus schied von vornherein aus, wenn wir nicht auf zahlreiche Leihgaben zurückgreifen wollten.

Lose verbunden: Objekte und Objekttexte in "Hegel und seine Freunde"

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Geschliffene, teils gefärbtes Glas, das Goethe 1821 Hegel mit dieser Widmung schenkte: „Dem Absoluten empfiehlt sich schönstens zu freundlicher Aufnahme das Urphänomen“. Hegel, der anders als Goethe die Welt durch logisches Denken und nicht durch das Studium der Natur durchdringen wollte, sollte mit dem Glas ausprobieren, wie die Brechungen des Lichts unsere Farbwahrnehmung verändern und wie ein und dasselbe in gegenteilige Effekte kippen kann – bei direkter Beleuchtung färbt der gelbe Streifen für uns das weiße Tuch gelb und das schwarze blau.

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Vom S zum K – Robert Gernhardt übersetzt 1984 die Dialektik durch das Austauschen eines Buchstabens in eine Szene im „Hegelstübchen“.
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Bernward Vesper zeichnet 1971 für seinen Roman Die Reise wohl im LSD-Rausch eine Szene, die bei der postumen Veröffentlichung 1976 neben einer Hegel-Stelle abgedruckt wird: „für weniger als eine Sekunde die Augen schließen und Raum und Zeit bewegt sehn von der DIALEKTIK These-Antithese-Synthese und versuchen, die Ewigkeit der Dialektik direkt unter der Hirnschale zu begreifen und unmittelbar auf den weißen Glanz GOTTES stoßen“.

Drei der Ausstellungsobjekte im Kapitel "Wie Hegel sichtbar verständlich wird"

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Friedrich Kittler notierte sich um 1980 für seine Habilitationsschrift Aufschreibesysteme 1800/1900 Gedanken zur Verbindung zwischen Hegel („Ästhetik nachlesen!“). dem Psychoanalytiker Sigmund Freud und dem Literaturwissenschaftler Wilhelm Dilthey. Bei allen dreien findet er Beweise für seine These, Texte würden nicht nur „Inhalte“ vermitteln, sondern auch ihre sprachlichen Voraussetzungen und medialen Bedingungen reflektieren (z.B. Hegels Phänomenologie des Geistes als „einziger Dialog“).

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Februar 1933: Hannah und Paul Tillich laden kurz nach der Machtergreifung der Nazis zum Motto-Kostümfest: „Die Ver- und Enthüllung des unmittelbaren Daseins (Kostümierung) muss dialektisch sein. Das vollständige ‚Ja‘ (Be-Kleidung) und das vollständige ‚Nein‘ (Ent-Kleidung) sind zu vermeiden. Erforderlich ist ein Spiel von Ja und Nein“, so dass das „Unberechenbare in der Geschichte erscheinen kann.“

Als Napoleon kommt Theodor W. Adorno, mit Toga und Lorbeerkranz Dolf Sternberger, mit einer afrikanischen Dämonenmaske aus Pappmaché der Ethnologe Eckart von Sydow und im Braunhemd der SA Kurt Riezler, verheiratet mit der einzigen Tochter des Malers Max Liebermann, der den Einzug der Nazis durchs Brandenburger Tor zwei Wochen zuvor kommentiert hatte: „Ich kann gar nicht so viel essen, wie ich kotzen möchte“.

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Margarete Susman zeichnete in der Vorlesung „Die Philosophie des Geldes“, die Georg Simmel um 1902 in Berlin hielt, Kleider – zufällig oder absichtlich liegt die Zeichnung an der Stelle, an der Simmel Hegel zitiert: „Wenn die Macht der Vereinigung aus dem Leben der Menschen verschwindet und die Gegensätze ihre lebendige Beziehung und Wechselwirkung verloren haben und Selbständigkeit gewinnen, entsteht das Bedürfnis der Philosophie.“

Drei der Ausstellungsobjekte im Kapitel "Was das Archiv von Hegel weiß"

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