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Leben

Was sieht man, wenn man Schiller auf zehn Dinge aus seinem Nachlass reduziert? Was kann dieses Zuspitzen leisten, was geht dabei verloren und wo verrät es mehr über die, die es gesammelt haben, als über Schiller selbst? Zum Auftakt wird das einmal beispielhaft ausprobiert: Zehn Dinge stehen für zehn Lebensmotive.

Ergänzungen sind auch hier erwünscht! Im digitalen Katalog des Deutschen Literaturarchivs kann jede:r selbst die Bestände sichten (ebenso im Goethe- und Schiller-Archiv in Weimar), hier durch die aktuelle Ausstellung zu Schiller im Literaturmuseum der Moderne flanieren und da sich mit einem kurzen Lebenslauf einen Überblick verschaffen.

Foto: DLA Marbach

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Der Brief ist in der deutschen Kurrentschrift („currere“ = „laufen“, für die mit einem Linienschwung geschriebenen Buchstaben) geschrieben. Für lateinische Texte lernte Schiller in der Schule eine zweite Schrift, die lateinische.

Foto: DLA Marbach

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Der ganze Brief im Wortlaut:

Wohlgebohrne Frau

Insonders hochzuEhrenste theuriste Frau Pathin!

Da ich durch Gottes Gnade in Erkenntniß unserer selig machenden Religion nunmehro soweit gekommen, daß ich bis nächsten Sonntag Quasimodogeniti mein Glaubens Bekänntniß öffentlich ablegen – und den Bund meiner Tauffe aus eigenem Munde mit Gott bekräfftigen solle: so ist es meine Pflicht, Euer Wohlgebohren hievon die gehorsamste Anzeige zu machen, und Ihnen zugleich sowohl für die Liebe der ehmahls gütig übernomenen Pathin-Stelle, als auch für alle mir seithero erwiesene Wohlthaten den verbindlichsten Dank abzustatten. Hören Sie nicht auf, Theuriste Frau Pathin! mir und denen Meinigen fernerhin Dero Gewogenheit zu schenken, und besonders bitte ich Sie, mich bey der bevorstehenden Confirmations-Handlung in Ihr Gebet einzuschließen, daß mich Gott durch seine Gnade und guten Geist stärken wolle, damit ich diejenige Pflicht, die ich nun selbst übernehme mit allem Fleiß erfüllen – und zum Wohlgefallen Gottes; meiner Eltern; Pathen und Anverwandten; im Guten je mehr und mehr zunehmen möge. Ich meineswenigen Orts werde niemals ermanglen mich dahin zu bestreben, daß ich Euer Wohlgebohren fernern hohen Gewogenheit würdig werden möge, unterdessen aber will ich Gott bitten, daß er Ihnen alle Liebe und Freundschafft die Sie mir und den meinigen so vielfältig erweisen, mit vollem Seegen belohnen wolle. Meine Eltern und Geschwistrigte empfehlen sich mit mir gehorsamst, und ich bin lebenslang in der vollkommensten VerEhrung

Euer Wohlgebohren 

Unterthäniger Diener 

Johann Christoph Friderich 

Schiller.

Ludwigsburg d. 21. April 1772. Dienstag

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Noch einmal eine andere Sprachwelt zeigt das Rezept, das Schillers Mutter Dorothea (1732–1802) aufgeschrieben haben soll, für „Qütten Hüppen ohne Feuer und Eissen zu Machen“:

„Erstlich nimt man Etlich Schöne Zeigtige Qütten [reife Quitten] raibt solche mit einem Dug [Tuch] ab thuts in ein Häffele giest waßer da rüber lest allgemach Sieden Biß die Haut Herunder geht dan wans zu schnell Sieden so Springens gern auff und werden wässerig, alß dan wird die schelen Sauber Herunder gezogen, und mit einem gutten Messer daß Marck fein in ein Sauber schüssele geschapt, daß Keine stückle oder Knölle giebt […].“

Bis ein Text also so da steht, dass er sich ganz selbstverständlich liest und die Sprache „natürlich“ scheint und Welten erfinden und Gefühle darstellen kann, ist es ein großes Stück Arbeit.

 

 

1. Mündigkeit

 

Der erste von Schiller erhaltene Brief ist ein diktierter Brief. Am 21. April 1772 kündigt der 12-jährige seiner Patin Elisabetha Margaretha Stoll im hohen und umständlichen Stil seine Konfirmation an. Der Brief stellt die Mündigkeit des Autors, die er bezeugen möchte, in Frage und parodiert sie geradezu: Nichts oder nicht viel ist hier eigen.

Der Brief ist Teil der Welt, von der sich Schiller in den darauffolgenden Jahren auch sprachlich emanzipieren wird. In den Briefen „Über die ästhetische Erziehung“ verwendet er dann genau dieses Stichwort – „Mündigkeit“ –, um seine Idee vom Künstler zu skizzieren:

„Der Künstler ist zwar der Sohn seiner Zeit, aber schlimm für ihn, wenn er zugleich ihr Zögling oder gar noch ihr Günstling ist. Eine wohlthätige Gottheit reisse den Säugling bey Zeiten von seiner Mutter Brust, nähre ihn mit der Milch eines bessern Alters, und lasse ihn unter fernem griechischen Himmel zur Mündigkeit reifen. Wenn er dann Mann geworden ist, so kehre er, eine fremde Gestalt, in sein Jahrhundert zurück; aber nicht, um es mit seiner Erscheinung zu erfreuen, sondern furchtbar wie Agamemnons Sohn, um es zu reinigen. Den Stoff zwar wird er von der Gegenwart nehmen, aber die Form von einer edleren Zeit, ja jenseits aller Zeit, von der absoluten unwandelbaren Einheit seines Wesens entlehnen.“

Foto: DLA Marbach

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Rückseite einer Abschrift, die Schillers Schwester Christophine von dem Gedicht des 14-jährigen „An die Sonne“ anfertigte:

„Preis dir! die du dorten herauf strahlst Tochter des Himmels / Preis dem lieblichen Glanz deines Lächlens der alles belebt / und alles erfreut, – Tief im Schatten der Nacht lag begraben / die prächtige Schöpfung, Tod war die Schönheit lang dem / lezenden Blik – aber nun steigst du früh aus dem rosigen / Schooße deiner Wolken empor, Wektest uns durch die Morgenröthe / und freundlich schimmert diese herfür über die Berge und verkündet / deine nahe Hervorkunft – schnell begann nun das Grauen sich / zu wälzen in ungeheuern Gebürgen, dann erschienest du selbst / Herrliche du, und verschwunden waren die neblichten / Riesen – ach! wie Liebende nun, liebäugelt der Himmel / zur Erden, und diese lächelt zum Liebling empor // und es küßen am Saum der Berge die Hügel.“

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Wenn man möchte, so kann man im Reiter hier auch den Tod erkennen.

Arbeitsfoto: DLA Marbach

 

Schiller hat diese Todessymbolik in seiner „Elegie auf den frühzeitigen Tod Johann Christian Weckerlins“ (1781) auch optisch eingesetzt und so die Zensur provoziert: „Die Fata meines Carmens verdienen eine mündliche Erzählung, denn sie sind zum Todlachen“. Ein Verehrer hat die Todeszeichen mit abgeschrieben:

Arbeitsfotos: DLA Marbach

2. Phantasie

 

Schiller soll „Rössel“ gemalt haben, wenn ihm nichts einfiel (ob allerdings auch dieses hier von ihm stammt, ist nicht belegt).

Pferde sind in der Antike Begleiter des Licht- und Sonnengottes Phoibos Apollon (des für die Dichtung zuständigen Gottes) aber auch – ungezügelt – seit altersher Symbol der ungebremsten Leidenschaft und sinnlichen Liebe. Bei Schiller sind Pferde Teil einer Art ,Privatmythologie‘.

Er selbst vergleicht sich schon als Schüler mit einem Pferd, das nach dem Sieg am lockeren Zügel gehen darf, als er in die Herbstferien geht. Mit radikalen Reinigungskuren versucht der Arzt Schiller zu heilen: „ich möchte ihm lieber zehen Pferde als meine Frau zur Kur übergeben“, urteilt Schiller über sich selbst als den anonymen Autor der „Räuber“, als er sein eigenes Werk rezensiert.

In Schillers Gedicht „Pegasus im Joche“ befreit ein Jüngling mit Zither (der Gott Apollon) das Musenpferd. Ein Motiv, das Schiller zeitlebens begleiten wird. Wie erhält man sich die Freiheiten der Phantasie? 1802 etwa klagt er seinem Freund Körner: „Die Prosa des wirklichen Lebens hängt sich bleischwer an die Phantasie.“

Foto: DLA Marbach

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Brief von Schiller an Herzog Carl Eugen:

Durchlauchtigster Herzog, Gnädigster Herzog und Herr!

Stuttgardt, den 1 Sept. 1782.

Friedrich Schiller, Medicus bei dem löblichen General-Feldzeugmeister vom Augé’schen Grenadierregiment, bittet unterthänigst um die gnädigste Erlaubniß, ferner litterarische Schriften bekannt machen zu dörfen.

Eine innere Ueberzeugung, daß mein Fürst und unumschränkter Herr zugleich auch mein Vater sey, gibt mir gegenwärtig die Stärke, Höchstdenenselben einige unterthänigste Vorstellungen zu machen, welche die Milderung des mir zugekommenen Befehls: nichts Litterarisches mehr zu schreiben, oder mit Ausländern zu kommuniciren, zur Absicht haben

Eben diese Schriften haben mir bishero zu der, mir von Eurer Herzogl. Durchlaucht gnädigst zuerkannten jährlichen Besoldung noch eine Zulage von fünfhundert und fünfzig Gulden verschafft, und mich in den Stand gesezt, durch Korrespondenz mit auswärtigen großen Gelehrten und Anschaffung der zum Studieren benöthigten Subsidien, ein nicht unbeträchtliches Glük in der gelehrten Welt zu machen. Sollte ich dieses Hilfsmittel aufgeben müssen, so würd ich künftig gänzlich außer Stand gesezt seyn, meine Studien planmäßig fortzusezen, und mich zu Dem zu bilden, was ich hoffen kann zu werden.

Der allgemeine Beifall, womit einige meiner Versuche von ganz Deutschland aufgenommen wurden, welches ich Höchstdenenselben unterthänig zu beweisen bereit bin, hat mich einigermaßen veranlaßt, stolz seyn zu können, daß ich von allen bisherigen Zöglingen der großen Karls-Akademie der Erste und Einzige gewesen, der die Aufmerksamkeit der großen Welt angezogen, und ihr wenigstens einige Achtung abgedrungen hat – eine Ehre, welche ganz auf den Urheber meiner Bildung zurückfällt! Hätte ich die litterarische Freiheit zu weit getrieben, so bitte ich Ew. Herzogl. Durchl. allerunterthänigst, mich öffentliche Rechenschaft davon geben zu lassen, und gelobe hier feierlich, alle künftigen Produkte einer scharfen Zensur zu unterwerfen.

Noch einmal wage ich es, Höchstdieselbe auf das Submisseste anzuflehen, einen gnädigen Blik auf meine unterthänigste Vorstellungen zu werfen, und mich des einzigen Wegs nicht zu berauben, auf welchem ich mir einen Namen machen kann.

Der ich in aller devotester Submission ersterbe

Ewr. Herzogl. Durchlaucht unterthänigsttreugehorsamster

Frid. Schiller.
Regimentsmedicus.

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Der Brief selbst:

Fotos: DLA Marbach

3. Mut

 

In der Nacht vom 22. auf den 23. September 1782 – wenige Wochen nach seinem Brief an den württembergischen Herzog Carl Eugen – floh Schiller aus Stuttgart ins kurpfälzische Mannheim, wo er am 24. September einen weiteren Brief an den Herzog (hier im Entwurf) schrieb:

„Ich habe einen schröklichen Weg gefunden, das Herz meines gnädigsten Herrn zu rühren, da mir die natürlichen bei schwerer Ahndung untersagt worden sind. Höchstdieselbe haben mir auf das strengste verboten litterarische Schriften herauszugeben, noch weniger mich mit Ausländern einzulaßen. Ich habe mir geschmeichelt E.H.D. Gründe von Gewicht dagegen vorbringen zu können, und die gnädigste Erlaubniß erbeten, Höchstdenenselben meine unterthänigste Bitte in einem Schreiben vortragen zu dörfen. Da mir diese Bitte bei Androhung des Arrests verwaigert ward, meine Umstände aber eine gnädige Milderung des mir gemachten Verbots höchst nothwendig machten, so zwang mich die Verzweiflung, den izigen Weg zu ergreifen.“ (zum vollständigen Text)

Schiller, der als Regimentsarzt im württembergischen Militärdienst stand, war für seinen Lebenstraum, Schriftsteller werden zu können, desertiert. Ein Vergehen, dass mit der Todesstrafe geahndet werden konnte. Dennoch hatte er den Mut, dem Herzog noch einmal zu schreiben und so auch seinen Aufenthaltsort zu verraten.

Foto: DLA Marbach

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In Schillers Nachlass sind einige Ringe überliefert, z.B. dieser zweite „Protest“-Ring, auf dem ein springender Löwe angemeldet ist wie auf dem Titelkupfer der 1782 erschienenen zweiten Ausgabe der „Räuber“ (wobei sich Schiller über das ohne seine Beteiligung gewählte Motiv ärgerte):

Fotos: DLA Marbach

 

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Dass Schiller tatsächlich Ringe getragen oder zumindest bewusst ausgesucht hat, belegt ein Brief, in dem er 1790 seinen Verleger Georg Joachim Göschen u.a. um einen Ring mit dem Kopf des griechischen Dichter-Urvaters Homer bittet: „Ich wünschte mir [von Josiah Wedgwood] eine Leyer, eine Psyche, einen Apollo oder Apollokopf, und einen Homer“.

Foto: DLA Marbach

 

So wie wir heute Buttons anstecken oder T-Shirts mit Motiven tragen, scheint sich Schiller passend Ringe ausgesucht zu haben, die ein Spannunsgverhältnis erzeugen.

Dass die antike Motive die Antike nur modisch zitierten und so umso mehr deren Entfernung markieren, war Schiller bewusst:

„Sie [die antiken Menschen] ]empfanden natürlich; wir empfinden das Natürliche. Es war ohne Zweifel ein ganz anderes Gefühl, was Homers Seele füllte, als er seinen göttlichen Sauhirt den Ulysees bewirten ließ, als was die Seele des jungen Werthers bewegte, da er nach einer lästigen Gesellschaft diesen Gesang las. Unser Gefühl für Natur gleicht der Empfindung des Kranken für die Gesundheit.“ (Über naive und sentimentalische Dichtung)

 

4. Witz

 

Schillers Flucht nach Mannheim ist gefährlich und dennoch inszeniert sie Schiller mit anspielungsreichen, vielsagenden Details: Er und sein Freund Andreas Streicher geben sich zwei Tarnnamen – „Dr. Ritter“ und „Dr. Wolf“. Angeblich hat Dr. Ritter in der Nacht, als der Herzog ein rauschendes Fest gab und so die Wachen abgelenkt waren, einen passenden Ring getragen: das grinsende Gesicht eines bockbeinigen Satyrs, eines zotteligen Waldgeists im Gefolge des Dionysos, des Gottes des Weines, der Fruchtbarkeit und Ekstase.

Schillers Humor entsprach dem, was man im 18. Jahrhundert unter ,Witz‘ verstand: die Fertigkeit zwischen verschiedenen Dingen Ähnlichkeiten zu bemerken. Dieses Bemerken von Zusammenhängen allen Unterschieden zum Trotz ist ein Motiv, das alle Schiller-Texte besitzen.

Foto: DLA Marbach

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Nur zwey Worte meine Lieben, es ist Posttag und ich kann ihn nicht vorübergehen laßen, ohne euch zu grüßen. Der Himmel ist heute so heiter, und meine Seele ist es auch – eben dacht ich, wie schön es wäre, wenn ich nur von einem Zimmer ins andre zu gehen brauchte, um bey euch zu seyn. Ach! wenn es erst so weit seyn wird! 

Ich vermuthe Euch jetzt im Garten, der reine Himmel über Euch und in Euch, vielleicht denkt Ihr meiner. Ja, Ihr denkt an mich – eine leise Ahnung sagt es mir – unsre Seelen sind einander gegenwärtig.

Als ich neulich schrieb, war ich in einer nicht ganz fröhlichen Stimmung, und jezt fürchte ich, daß meine Briefe Spuren davon trugen. Ich war lange nicht aus dem Zimmer gekommen, und Arbeiten ohne Interesse hatten meinen Kopf ermüdet. Weil mein Gemüth etwas reizbar war, so drückte mich der Gedanke, von Euch entfernt zu seyn, hier so verlassen zu seyn, nieder. Wenn ich Euch diese Stimmung mitteilte, so vergebt es mir, und seid heute heiter mit mir.

Erhalte ich heute vielleicht einen Brief? – Wenn mir einer bescheiden ist, so muß ich ihn in einer halben Stunde haben. Ich erwarte keinen, aber ganz kann ich die Hoffnung doch nicht aufgeben.

Adieu, meine Theuersten! Ich drücke euch an mein Herz.

Schiller.

5. Liebe zu Dritt

 

„Der Mann, dem eine Schwester nicht genug war.“ Auch so ist Schiller schon charakterisiert worden. Anlass dafür war eine Dreiecksbeziehung: Im Sommer 1788, ein Jahr vor dem Sturm auf die Bastille und der Französischen Revolution, verliebte sich der 28-jährige in die beiden Schwestern von Lengefeld, die 21-jährige Charlotte und die 24-jährige Caroline, verheiratete von Beulwitz. In der Nähe von Weimar, in Volkstedt und Rudolstadt, verbrachten die drei den Sommer.

Ein Jahr später, im August 1789, kurz nach der Verlobung mit Charlotte, schickte Schiller diesen etwas mehr als handtellergroßen Liebesbrief an die beiden Schwestern  – ein Traum  von einer glücklichen Dreiecksbeziehung, den er einige Monate später noch deutlicher formulierte:

„Nur in euch zu leben, und ihr in mir – o das ist ein Daseyn, das uns über alle Menschen um uns her hinwegrücken wird. […] Du kannst fürchten, liebe Lotte, daß du mir aufhören könntest zu seyn, was du mir bist. So müßtest du aufhören mich zu lieben! Deine Liebe ist alles was du brauchst, und diese will ich dir leicht machen durch die meinige.“ (weiterlesen)

Ganz so leicht war es in der Wirklichkeit dann doch nicht: Schiller heiratete 1790 Charlotte. Die schon verheiratete Caroline ließ sich von ihrem Mann scheiden und hatte zahlreiche Affären.

Foto: DLA Marbach

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„Ihre liebevollen Geständniße trafen mich in einer Epoche, wo ich das Bedürfniß eines Freundes lebhafter – – – – – – – – – – – – 22. Februar. Dienstag. als jemals fühlte. (Hier bin ich neulich durch einen unvermuteten Besuch unterbrochen worden, und diese 12 Tage ist eine Revolution mit mir und in mir vorgegangen, die dem gegenwärtigen Briefe mehr Wichtigkeit gibt, als ich mir habe träumen laßen – die Epoche in meinem Leben macht) Ich kann nicht mehr in Mannheim bleiben. In einer unnennbaren Bedrängniß meines Herzens schreibe ich Ihnen meine Besten. Ich kann nicht mehr hier bleiben. Zwölf Tage habe ichs in meinem Herzen herumgetragen, wie den Entschluß aus der Welt zu gehn. Menschen, Verhältniße, Erdreich und Himmel sind mir zuwider. Ich habe keine Seele hier, keine einzige die die Leere meines Herzens füllte, keine Freundin, keinen Freund“

6. Pathos

 

Im April 1785 verließ Schiller Mannheim und zog zu seinem Brieffreund Christian Gottfried Körner nach Gohlis bei Leipzig. Schon im Februar setzte Schiller für seinen Freund diesen Wechsel als schicksalhaftes Ereignis in Szene: Mit zwölf Strichen markierte er in einem Brief zwölf Schicksalstage.

Was genau in dieser Zeit passierte, ist bis heute unklar. Die zwölf Gedankenstriche lassen nicht nur alles offen, sie schaffen Zeit und erlauben das Innehalten. Sie sind das Gegenteil eines Gefühlsausbruchs – ein Vernunftakt, wie Schiller ihn dann 1793 in Über das Pathetische“ beschreiben wird.

„Soll sich also die Intelligenz im Menschen als eine von der Natur unabhängige Kraft offenbaren, so muß die Natur ihre ganze Macht erst vor unsern Augen bewiesen haben. Das Sinnenwesen muß tief und heftig leiden; Pathos muß da sein, damit das Vernunftwesen seine Unabhängigkeit kund thun und sich handelnd darstellen könne.“

Foto: DLA Marbach

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Schillers Weste kann im Deutschen Literaturarchiv durch eine Hose und Strümpfe ergänzt werden, deren Längsstreifenmuster 1804 hoch in Mode war (ob sie allerdings wirklich Schiller gehörten, muss jede:r für sich entscheiden).

Fotos: DLA Marbach

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Im Deutschen Literaturarchiv hat man mehr als nur eine Möglichkeit, „Schiller“ aus seinen Kleidern zusammenzusetzen:

Fotos: DLA Marbach

7. Mode

 

Die Kleider, die als Schillers Kleider überliefert sind, markieren seinen Körper von Kopf bis Fuß: vom Hut über Westen, Handwärmer und Hosen hin zu Strümpfen und Schuhschnallen – der Dichter scheint zum Anfassen nah.

Wobei sich aus diesem Inventar zweierlei Schiller zusammensetzen lassen: ein modebewusster Höfling und ein sparsamer Mann. Der eine hat seine Kleider geschont, der andere hat sie durchgescheuert, -gerieben, -gesessen und -gelaufen. Das erste Kleiderensemble spielt mit schimmernden Farben, Blau-, Gold- und Cremetönen, Längs- und Querstreifen.

Schiller selbst hat sich der Überlieferung nach nicht gescheut, durch Mode Farbe zu bekennen. Seine bunten Kleider sind ebenso legendär wie seine für die damalige Zeit außergewöhnliche Körpergröße von 181 Zentimetern.

Arbeitsfoto: DLA Marbach

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Archivbeschriftung oder Schillers eigene Beschriftung? Name auf einem der Spazierstöcke.

Arbeitsfoto: DLA Marbach

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Situationen des Eingesperrtseins thematisiert Schiller immer wieder, z.B.:

„Ich bin auf den Bergen, Dresden zu, herumgeschweift weil es da oben schon ganz trocken ist. Wirklich habe ich diese Bewegung höchst nöthig gehabt, denn diese paar Tage, auf dem Zimmer zugebracht haben mir, nebst dem Biertrinken, das ich aus wirklicher Desperation angefangen habe, dumme Geschichten im Unterleib zugezogen, die ich sonst nie verspürt habe. […] und wenn ich, Motion halber, in meinem Zimmer springe, so zittert das Hauß und der Wirth fragt erschrocken, was ich befehle.“ (Tharandt, 22.4.1787, an Körner)

„Ich bin auf meine 4 Wände reduziert, und wenn nicht manchmal eine Kuh blöckte oder meine Pfauen mir vor dem Hause mit ihrer Silberstimme die Honneurs machten, so würde ich gar nicht gewahr, daß Leben um mich ist.“ (Volksstedt, 30.5.1788, an Charlotte von Lengefeld)

 

 

8. Bewegung

 

Die überlieferten Erinnerungsstücke von Schiller sind immer wieder abgeleitet aus seiner Literatur. In auffälliger Serie wurden alltägliche Gegenstände gesammelt, über die er geschrieben und an die er gern auch seine eigene Legende vom Künstler geknüpft hat: Strümpfe, Weingläser und Tabaksdosen, Spazierstöcke und Spiele, sogar eine (Tisch-)Glocke.

Die beiden Spazierstöcke aus Spanischem Rohr (Riesenschilf), von denen einer am Knauf mit dem Unendlichkeitsmotiv der Spirale verziert ist, passen natürlich ideal zu Schillers Elegie „Der Spaziergang“. Ob sie deswegen gesammelt wurden oder tatsächlich von Schiller sind? Diese Frage bleibt bei vielen Gegenständen aus seinem Nachlass unbeantwortet.

Bewegung (und damit verbunden Gleichgewicht) ist jedenfalls bei dem so häufig von Krankheiten gebeutelten Schiller ein Leitmotiv.

Foto: DLA Marbach

Schillers Dramenplan

Foto: DLA Marbach

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Auswahl aus Schillers geplanten Stoffen:

Die Maltheser. Tragödie.
Wallenstein. Tragödie.
Das Ereigniß zu Verona beim Römerzug Sigismonds. Verbrechen seines Günstlings und strenge Justiz des Kaisers.
Maria Stuart Tragödie
Narbonne oder die Kinder des Hauses.
Der Hausvater.
Verschwörung gegen Venedig.
Sicilianische Vesper
Das Mädchen von Orleans
Macbeth nach Shakespear
Gozzis Turandot
Henri IV. oder Biron.
Charlotte Corday. Tragödie
Rudolph v Habsburg.
Heinrich der Löwe v Braunschweig.
Der Graf von Königsmark.
Monaldeschi.
Rosamund.
Die Braut der Hölle.
Elfride.

9. Verantwortung

 

Schiller musste als freier Schriftsteller und Familienvater darauf achten, dass er Geld verdiente und sparen konnte. Nach der Geburt des zweiten Kindes entwarf er 1797 für sich einen Arbeitsplan, den er bis 1804 abarbeitete – Erledigtes wurde gestrichenen.

Foto: DLA Marbach

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So wie das Eis wieder anfängt aufzuthauen, geht auch mein Herz und mein Denkvermögen wieder auf, welches beides in den harten Wintertagen ganz erstarret war. Solang der Winter nun dauert, bin ich unaufhörlich von einem Catarrh geplagt, der mich in der That sehr angreift und fast allen Lebensmuth ertödet. An eine glückliche freie Thätigkeit war bei solchen Umständen gar nicht zu denken. Um nun nicht ganz müßig zu seyn und doch durch einige Arbeit über die harte Periode mir hinüber zu helfen, habe ich die Phedre von Racine übersetzt; ein Stück welches viele Verdienste hat, und wenn man einmal die Manier zugiebt sogar fürtrefflich heißen könnte. Es ist lange Zeit das Paradepferd der französischen Bühnen gewesen u. ist es zum Theil noch; wir wollen nun sehen, wie es sich einem deutschen Publikum gegenüber behaupten wird. Ich hab es in den gewöhnlichen reimlosen Jamben übersetzt und mit gewissenhafter Treue, ohne mir eine Abänderung zu erlauben. Du sollst das Mscrpt haben, wenn ich eine Abschrift davon habe nehmen lassen. Auf den 30. dieses Monats, als d. Geburtstag der Herzogin werden wir es spielen lassen.

Hubers Tod wird euch, so wie auch mich, sehr betroffen haben, und ich mag jetzt noch nicht gerne daran denken. Wer hätte das erwartet, daß Er uns zuerst verlassen müßte! Denn, ob wir gleich auser Verbindung mit ihm waren, so lebte er doch nur für uns und war an zu schöne Zeiten unsres Lebens gebunden, um uns je gleichgültig zu seyn. Ich bin gewiß, daß Ihr jetzt auch sein großes Unrecht gegen euch gelinder beurtheilt; er hat es gewiß tief empfunden u. hart gebüßt.

Schreibe mir bald einige Worte wies euch geht und in dieser langen Zeit gegangen ist, da wir nichts von einander hörten.

Herzlich umarme ich euch

Dein S.

10. Optimismus

 

Frühling im Januar? Allem-zum-Trotz-Denken-und-Schreiben? Am 20.1.1805, wenige Monate vor seinem Tod, schrieb Schiller dem Freund Körner:

„So wie das Eis wieder anfängt aufzuthauen, geht auch mein Herz und mein Denkvermögen wieder auf, welches beides in den harten Wintertagen ganz erstarret war. Solang der Winter nun dauert, bin ich unaufhörlich von einem Catarrh geplagt, der mich in der That sehr angreift und fast allen Lebensmuth ertödet.“

 

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